VERGESSEN – ODER EBEN DOCH NICHT?
Wenn ich nun, mit etwas mehr als 30 Jahren Abstand zurückblicke, sehe ich sie immer noch so vor mir, wie ich sie damals im Klassenzimmer erlebt habe. Diese kleine, schlanke, quirlige Frau, die mit ihrer unglaublich starken Persönlichkeit und ihrer sanften Autorität die Aufmerksamkeit der ganzen Klasse auf ihr Fach zu lenken wusste. Während uns in den Jahren zuvor ein ältlicher Herr mit eigenwilligen Methoden in Englisch eher in den Schlaf gelullt hatte und uns im Jahr danach eine unerfahrene Referendarin mit einem grauenvollen bayerischen Akzent in ihrer Aussprache nichts Nennenswertes beibringen konnte, erlebte meine ganz sicher nicht einfache Klasse bei dieser ausgezeichneten Lehrerin in vielerlei Hinsicht bereichernde zwei Jahre. Ihr habe ich es nicht zuletzt zu verdanken, dass ich nun selbst vor Schulklassen stehe und Jugendliche unterrichte.
Auch wenn ich es ihr leider nie gesagt habe, zählt sie zu den Frauen, die mich in meinem Leben maßgeblich beeinflusst haben: Sie war für mich schon damals ein Vorbild und ich wünschte, ich könnte ihre ideale Mischung aus Strenge und Milde in ähnlicher Weise verkörpern. Sie hatte immer einen äußerst einfühlsamen Blick auf die Klasse und ein feines Gespür für die Schwächeren und Unterlegenen. In einer Zeit, als Fremdsprachenunterricht noch sehr stark aus der Nachahmung starrer Strukturen bestand und Aufgabenorientierung ein Fremdwort war, brachte sie Schwung und „echtes“ Leben ins Klassenzimmer: Sie ließ uns Rezepte ausprobieren und die Resultate im Unterricht verkosten, wir durften Plakate mit Lernwortschatz gestalten und aufhängen, wir hörten englische Lieder an und sangen fröhlich mit —damals tatsächlich überdurchschnittlich moderne Methoden, um unser Interesse für England und die englische Kultur zu wecken. Mir werden ihre Geduld und gute Laune immer in bester Erinnerung bleiben —tatsächlich habe ich sie nie im Streit oder Konflikt mit einem meiner Mitschüler erlebt, obwohl wir definitiv alles andere als eine interessierte Truppe waren.
Schade, dass ich mir nie die Zeit genommen habe, ihr „Danke, liebe Frau Schwietz!“ zu sagen. Ich tue es hiermit.
Ingrid Buchbauer
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